The Geared Facile |
Das, was wir heute unter dem Begriff Hochrad verstehen (also Fahrradmonstrositäten, deren überdimensional hohes Vorderrad einen Durchmesser von 54“, also von 137 cm oder auch mehr aufweisen) hieß früher ganz anders: schlicht und phantasielos Bicycle, Zweirad. Räder, die wir heute als „Niederrad“ kennen, gab es damals ja noch nicht. Geändert hat sich das 1878, genau am 25. Jänner. An diesem Tag hat der Brite John Beale ein Patent angemeldet für ein Fahrrad, dessen Vorderrad nur 42 englische Zoll hoch war, und das nicht mittels Pedalen, sondern über Trethebel angetrieben wurde. Er nannte es „Facile“ (leicht) und fand mit dem Londoner Unternehmen Ellis & Co. auch einen Hersteller.Der Sinn dieser Bauweise lag in der subjektiven Sicherheit, denn mit Hochrädern war man bei einem Sturz extremen Verletzungsrisiken ausgesetzt, nicht selten endete so ein „Header“ mit dem Tod des Velocipedisten. Auch beim Facile konnte man natürlich stürzen, aber man fiel halt nicht annähernd so tief. Von nun an gab es eine namentliche Unterscheidung, die neue Art von Rad hieß jetzt „Safety – Bicycle“, das normale Hochrad wurde zum „Ordinary – Bicycle“ herabgewürdigt, also zum „gewöhnlichen Fahrrad“.
Die Idee des Sicherheitshochrads fand bald Nachahmer. Noch im selben Jahr 1878 brachte George Singer das „Xtraordinary“, ein normal hohes Zweirad, bei dem allerdings durch eine geneigte Gabel die Sitzposition und damit der Schwerpunkt weit nach hinten gerutscht war, und das ebenfalls mittels Trethebel angetrieben wurde. 1880 wurde das „American Star“ entwickelt, ein Hochrad, welches das kleine Rad vorne angebracht hatte, wodurch ein „Header“ überhaupt ausgeschlossen war. 1884 kam das Kangaroo von Premier, ein mit Kette übersetztes „Hochrad“, dessen Vorderrad auf einen Durchmesser von 38“ verringert werden konnte. Es setzte sich durch, jede Firma hatte so ein Fahrrad im Programm, bevor 1888 mit John Kemp Starleys „Rover“ neue Zeiten anbrachen – das Niederrad war geboren, und in Verbindung mit John Boyd Dunlops Pneumatic Bereifung versetzte es dem Hochrad in all seinen Arten den Dolchstoss.
Bis 1885 hatte die Firma Ellis das „Facile“ in drei Varianten ziemlich unverändert gebaut: als Billigmodell (Standard), als Luxusausführung (Special) und im Renntrimm (Extra Special). Das “Geared Facile“ war Ellis’ Antwort auf das Kangaroo: es wurde mittels Planetengetriebe übersetzt. Auch das „übersetzte Facile“ wurde im harten Wettbewerb als Werbeträger eingesetzt, denn mit Rennerfolgen warb Ellis seit jeher: 24 Std. Rekord (266,25 Meilen), „Land’s End nach John o’ Groats“ Rekord (900 Meilen quer durch England) durch J. H. Adams in weniger als 7 Tagen, und andere mehr.
Bei dem jüngsten Neuzugang im Museum handelt es sich um ein solches „Geared Facile“, es kam im Tausch aus einem Heimatmuseum. Das Teil ist sowohl von der historischen Bedeutung, vom originalen Zustand als auch von der technischen Innovation allererste Sahne. Das Baujahr 1886 ist samt Patent- und Rahmennummer im Lenkkopf eingestanzt, der Gesamtzustand ist perfekt erhalten bis zur partiell erhaltenen Lackierung, und sogar dass irgendwann ein Trethebel angebrochen ist, kann als Glücksfall gedeutet werden: denn dadurch wurde das Facile vermutlich sehr früh beiseite gestellt, so dass sogar die originalen „Cushion Tyres“ (Luftkammerreifen) noch in sehr gutem Zustand erhalten sind. Wäre es nicht ein Frevel, könnte man dieses „Safety“ sogar wieder fahren, aber sinnvoller steht es im Museum neben seinen Artgenossen, dem „American Star“ und dem „Renn-Kangaroo“ von Trigwell & Watson!
Während für manche genau in diesem Miteinander die Große Gefahr bestand.
Beachten Sie zu diesem Rad auch die Einträge in unserer Datenbank historischer Räder.
Fahrradmuseum Altmünster
Technisches Museum Wien