Wien 1885, beschrieben von Thomas Stevens |
Die nächste Nacht verbrachte ich in Neulengbach und erreichts am nächsten Tage Wien. gegen Mittag war ich im Englischen Hofe und beschloß, zwei Tage hier zu bleiben und dem Wiener Radfahrerklub einen Besuch abzustatten. Das Klubhaus liegt in der Schwimmschulenstraße. Man versprach mir, wenn ich noch einen Tag warten wollte, eine kleine Anzahl von Radfahrern zusammenzubringen, die mich siebzig Kilometer bis Preßburg begleiten würden. Der Wiener Klub hat eine sehr schöne Rennbahn einrichten lassen, und ich konnte am Abend mehrere Mitglieder bei ihren Übungen beobachten. Engländer und Amerikaner haben keinen Begriff von den Schwierigkeiten, mit welchen das radfahren in Wien verknüpft ist. Die ganze Stadt innerhalb der Ringstraße und nicht weniger als fünfzig Straßen außerhalb des Ringes sind den Radfahrern verboten; auch müssen sie sich mit großen, deutlichen Buchstaben kenntlich machen, ebenso nachts ihre Laterne, so daß man im Falle einer Übertretung den betreffenden Übeltäter leicht erkennen kann. Die Pflicht der Selbsterhaltung zwingt den den Klub zu größter Vorsicht gegen Verletzung der polizeilichen Vorschriften, um nicht das allgemeine Vorurteil gegen das Radfahren noch mehr zu erregen. Jedes Mitglied des Klubs muß, ehe es außerhalb der eigenen Bahn fahren darf, vor Abgeordneten der Wiener Radfahrerklubs eine förmliche Prüfung ablegen. Außerdem erhält jeder Radfahrer eine Druckschrift mit dem Verzeichnisse der erlaubten und der verbotenen Straßen. Trotz all dieser Einschränkungen besaß die österreichische Hauptstadt bereits zweihundert Radfahrer.
Dienstag morgen um fünf Uhr zog ich mich eben an, als man mir mitteilte, daß zwei Radfahrer mich unten erwarteten. Die Glocken erklangen in ganz Wien, als wir uns nach der Vorstadt begaben, und schon strömten die Leute nach der Stephanskirche, um das Fronleichnamsfest zu feiern. In der Vorstadt erwarteten uns noch drei Radfahrer, und wir ritten nun an Feldern wogender Gerste vorbei im Donautale nachSchwechat, frühstückten hier und fuhren nach Petronell, um ein Glas weißen Ungarwein zu trinken. In der Nähe von Petronell befanden sich Überbleibsel eines angeblich zweitausend Jahre alten römischen Walles, der sich von der Donau bis zum Neusiedlersee erstreckte. Die Wege waren ziemlich schlecht. In den Dörfern waren die Straßen mit frisch gehauenem Grase belegt und durch die Baumzweige, welche man in den Gund gesteckt hatte, vorübergehend in Alleen verwandelt; alles aus Anlaß des Fronleichnamsfestes. In Hainburg kamen wir unter einem neunhundert Jahre alten Torwege hindurch und fuhen wieder über grasbestreute Straßen zwischen Reihen von Soldaten hin, welche grüne Eichenzweige an ihren Hüten trugen. Gegen Miiag hielten wir bei großer Wärme und vielem Staube unseren Einzug in Preßburg. Nach der Mittagsmahlzeit machten wir einen Gang durch das jüdische Viertel der Stadt und erstiegen die Höhe, auf welcher das Schloß liegt. Man hat von hier aus eine schöne und weite Aussicht auf die Donau, ihre bewaldeten Uferhöhen und ihr breites, blumiges Tal.
Meine österreichischen Begleiter ritten mit mir bis zu einem Kreuzwege und zeigten mir die rechte Straße nach Budapest.